Nach abermals viel Schlaf scheint die Japangrippe heute weitegehend ausgestanden zu sein, zum Glück. Heute steht nämlich wieder ein Highlight meiner Reise an, Kalligraphieunterricht. Das ist mir vor allem deshalb so wichtig, weil ich in Deutschland immer noch keinen Lehrer gefunden habe. Ich muss also schauen, dass ich so viel wie möglich aus Japan mitnehme, denn zu Hause bleibt mir bis auf Weiteres nur das Selbststudium. Und ich möchte das wirklich lernen, finde es total faszinierend! Chandra und ich lassen den Tag langsam angehen und machen uns erst gegen 14 Uhr auf die Reise, sodass wir erst um 16 Uhr bei der Meisterin eintreffen. Ich sage ihr heute, dass mir irgendwie noch nicht klar ist, wie ich einem Kanji ansehe, welcher Strich in welchem Stil zu sein hat. Die waagerechten beispielsweise enden manchmal mit so einem resoluten Knubbel, oft aber auch nicht. Und bei einem Zeichen wie aka (rot) sind die letzten vier Striche alle verschieden, woher weiß man, welcher welcher ist? Ok, üben wir das nochmal am Zeichen sho (schreiben, erstes
Zeichen von shodou, Kalligraphie) Nebenbei ist es natürlich auch wieder interessant, dem Treiben in
dieser Schule zuzusehen. Die Schüler(innen) praktizieren
verschiedenste Schreibstile und werden abwechselnd von der Meisterin
instruiert. Ein Mädel schreibt auf einem langen Papier anscheinend
etwas Koreanisches. Das Blatt ist so lang, dass sie zum Schreiben
drauf rumlaufen muss Etliche Schüler bekommen heute Arbeiten ausgehändigt, die auf so
eine schmucke Schriftrolle aufgezogen wurden, wie ich auch eine in
meinem Zimmer hängen habe. Der Japaner neben mir appliziert mit
äußerster Konzentration und nachdem er sich mit der Meisterin über die
optimale Positionierung verständigt hat zwei dieser roten
Namensstempel auf seiner Rolle Zwischendurch gab es sogar einen kleinen Imbiss in Form einer
Scheibe Toastbrot mit einer Art Windbeutel, dazu ein glas kalten
Tee Als die Meisterin wieder Zeit für mich hat, habe ich etliche Blätter mit sho vollgemalt und sie ist sehr zufrieden. Ich bitte sie, ob ich mich vielleicht als Nächstes mal an dem Schriftzeichen für Go versuchen darf. Kann mir als Go-Spieler bestimmt nicht schaden, wenn ich dieses Zeichen schön schreiben kann. Sie zeigt es mir aber überraschenderweise nicht nur in dem Blockschrift-artigen Schreibstil kaisho, den ich bisher praktiziere und mit dem sich Anfänger dem Vernehmen nach lange Zeit auseinandersetzen, bevor sie die höheren Weihen erlangen, sondern auch in gyousho, der Semikursivschrift, in der die Linien fließender, die Zeichen aber trotzdem noch halbwegs lesbar sind. Nach meinem ersten, ziemlich lausigen Versuch, die beiden Stile auf
einem Blatt zu schreiben (kaisho geht halbtwegs, aber für
gyousho habe ich noch überhaupt kein Gefühl) Zwischendurch gibt es wieder Abendessen, das scheint hier fest zum
Programm zu gehören. Eine Schüssel mit Tofu, Muscheln und werweißwas,
sehr lecker Als sie das Blatt vollschreibt, kann ich mir allerdings nicht recht vorstellen, dass das wirklich als Aufgabe für mich gedacht ist. Vor allem als sie anfängt, mit ihrem fetten Schreibpinsel (das ganze Blatt ist mit demselben Pinsel geschrieben!) die vier kleinen Zeichen links unten zu schreiben, die mein Name in Kanji sind (hararudo), da kann ich kaum fassen, wie das geht und mir schon gar nicht vorstellen, das selbst hinzukriegen. Ich sage ihr, dass ich nicht glaube, das schaffen zu können, doch sie antwortet nur ganbattene. Ganbatte bedeutet so viel wie durchhalten, sich anstrengen, nicht aufgeben, ein Ausdruck, den man oft hört in der japanischen Gesellschaft und wahrscheinlich einer ihrer Grundwerte. Aber ich, mit dem fetten Pinsel, diese winzigen Zeichen, wie soll das gehen? Außerdem hat sie diesmal keine Anstalten gemacht, die Striche für mich zu nummerieren (ok, das brauch ich normalerweise wirklich nicht mehr, obwohl ich bei dem altertümlichen Schriftzeichen rechts oben (gaku, lernen, studieren) doch froh bin, zugeschaut zu haben. Ich meditiere einige Minuten lang über der Vorlage, versuche mir
vorzustellen, wie sie den Pinsel geführt haben könnte, um das
hinzukriegen, und versuche es dann mit äußerster Konzentration. Fast
etwas erschöpft lege ich nach einigen Minuten den Pinsel zur Seite und
mache ein Foto von meinem allerersten Versuch Weiter gehts mit meinem eigenen Werk. Ich schreibe es etliche Male,
bevor ich es ihr zur Korrektur vorlege So fliegt die Zeit dahin, bis ich um kurz vor halb neun beschließe,
dass dies mein letzter Versuch ist Ach ja, was heißt das eigentlich, was ich da geschrieben habe? Die drei großen Zeichen bedeuten für sich genommen lernen, Bescheidenheit, Gesinnung, und Chandra erklärt mir, dass man sich den Rest dazwischen denken muss: Um lernen zu können, muss man eine bescheidene Geisteshaltung einnehmen. Wie wahr. Die vier kleinen Zeichen sind wie gesagt mein Name Eigentlich hatte ich Hiko geschrieben, dass ich ab 19 Uhr Zeit hätte und mich auf ein gemeinsames Abendessen freue. Aber gegen 18 Uhr kam eine SMS von ihm mit einer Absage, und ich muss im Nachhinein sagen, dass ich doch sehr froh bin, diese letzten anderthalb Stunden lang noch intensiv geübt zu haben. Denn in Deutschland habe ich wie gesagt noch keinen Meister gefunden. Nach der förmlichen Verabschiedung mit Verbeugung bis auf den Boden sagt die Meisterin noch etwas, das mir Chandra erst übersetzen muss: Ich habe anscheinend Talent und solle weitermachen. Das freut mich sehr zu hören, und ich hoffe, dass ich mich zu Hause zum Üben aufraffen kann. |
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