Das Thema des heutigen Tages lautet traditionelles Handwerk. Zu
diesem Zwecke fahren wir nach Tokoname, einem kleinen
Städchen(?), das von Okazaki aus in westlicher Richtung am Meer
liegt. In einer Ecke haben sich dort sich die Töpfer versammelt,
und für die Touristen schlängelt sich der yakimono
sampomichi , der Töpfereipfad,
durch enge Gässchen, vorbei an alten Häuschen mit kleinen
Töpferwerkstätten . Früher lag dieser Stadtteil einmal
direkt am Meer, aber inzwischen wurde das Ufer weiter
aufgeschüttet. Und auf einer künstlichen Insel entsteht
gerade ein neuer Flughafen, sodass es mit der beschaulichen Idylle
bald vorbei sein dürfte. Jedenfalls mit der Ruhe.
Wir sind mit dem Töpfermeister Watanabe verabredet, der uns
einen Einblick in seine Handwerkskunst geben soll . Mir war gar nicht klar,
dass wir dabei sofort selbst etwas töpfern sollen; gleich als
erstes fragt uns Watanabe sensei was wir denn eigentlich machen
wollen. Ich entscheide mich für eine runde Reisschale und ein
flaches, quadratisches Schälchen für Sojasoße oder
Ähnliches.
Er führt uns vor, wie aus einem Klumpen Ton in wenigen Minuten
eine hübsche Reisschale entsteht : Erst drückt er mit
dem Daumen ein Loch in den Klumpen, zieht dann langsam die Wände
hoch und drückt sie anschließend nach außen. Jetzt
noch mit einem kleinen Lappen ein bisschen Feinschliff am Rand und
fertig. Annegret hat sich für einen Becher entschieden, und auch
der entsteht in Windeseile .
Aber natürlich sieht das einfacher aus als es ist. Als ich den
Ton zum ersten Mal anfasse und behutsam versuche, ein Loch zu machen,
eiert er doch ganz gewaltig rum. Nach ein, zwei Minuten habe ich den
Dreh aber halbwegs raus. Von den Anweisungen, die mir mein sensei
nebenbei gibt, verstehe ich leider wieder mal so gut wie gar nichts.
Wozu habe ich eigentlich vier Wochen lang Japanisch gelernt? Eines
Tages - ich bin wild entschlossen - werde ich diese Sprache meistern!
Einstweilen verstehe ich nur yukkuri (langsam) und Stop. Und
natürlich seine Gesten. Als ich das Ding zum ersten Mal durch
eine unbedachte Bewegung deformiere, greift er ein und macht es mir
wieder gerade . Es gelingt mir dann
eigentlich recht gut, die Wände der Schale schön zur Seite
zu ziehen . Aber als ich gerade
denke, jetzt könnte die Schale wohl fertig sein, passiert mir
wieder ein Ausrutscher und das Ding hat eine Delle. Diesmal gibts aber
kein Zurück; er sagt (wie ich nur dank Declans Übersetzung
verstehe), dass auch er manchmal zu unerwarteten Ergebnissen gelangt
und dieses Ding jetzt einfach fertig ist .
Die quadratische Schüssel forme ich, indem ich den Ton
zunächst zu einer Art Pizza breitklopfe und ihn dann über
eine Form modelliere . Das Ergebnis sieht noch
weniger ansprechend aus als meine Teeschale, denn mir hatte vorher
keiner gesagt, dass ich gleich von Anfang an auf die Ränder
meiner Pizza achten muss, da diese nachher die Ränder meiner
Schale bilden und nicht mehr nachgebessert werden.
Wir dürfen uns noch eine Glasur für unsere Meisterwerke
aussuchen und erfahren, dass sie im Laufe der nächsten zwei
Wochen gebrannt und glasiert werden und wir sie dann tatsächlich
als Souvenir zugeschickt bekommen sollen. Das ist ja ein wirklich
netter Service. Declan warnt aber, dass das nicht immer gelingt:
So manches Erstlingswerk eines Töpferlehrlings zerbricht beim
Brennen, und es hat nicht allzu viel Sinn, einen Scherbenhaufen um die
halbe Welt zu schicken. Ich bin gespannt, ob ich irgendwann im Oktober
ein Päckchen mit einer selbstgezimmerten Reisschüssel
bekomme.
Nach einer Riesenportion hausgemachtem raamen zum
Mittagessen haben wir bei Kunizakari einen Termin für eine
Sake-Probe. Nachdem Declan uns durch das Museum geführt und den
Herstellungsprozess erklärt hat, stehen wir vor mehr als 10
Flaschen Sake und dürfen nach Herzenslust probieren . Ich erfahre bei dieser
Gelegenheit so manches über Sake, was ich noch nicht wusste. Zum
Beispiel, dass man ihn nicht nur im Sommer kalt trinkt, sondern der
gute Sake auch im Winter kalt schmeckt. Lediglich den weniger
wertvollen Sake wärmt man im Winter an. Anders als Wein wird Sake
durch lange Lagerung nicht besser. Man trinkt ihn also am besten
frisch, und laut Declan merkt man einem Sake schon ein halbes Jahr
Lagerung an. Älter als zwei, drei Jahre sollte man ihn auf keinen
Fall werden lassen. Wozu wird schließlich jedes Jahr neuer Sake
produziert?
Ich muss an Norberts Sake-Vorräte denken und nehme mir im
Stillen vor, eine eventuelle Einladung dann doch dankend abzulehnen.
Zumal ich bei der Sake-Probe bemerke, welche erstaunliche
Geschmacksvielfalt es hier gibt. Wie beim Wein tendiere ich zu den
eher trockenen Sorten. Anders als beim Wein ist mein Favorit hier aber
eine der billigsten Flaschen. Ich überlege noch, ob ich ein
Fläschchen davon kaufen soll, lasses es dann aber doch bleiben,
denn wann soll ich den trinken? Dafür wären ja quasi nur
noch zwei Abende Zeit, wenn ich die Flasche nicht mitschleppen will,
und schleppen will ich mit meinem kaputten Schlüsselbein
definitiv so wenig wie möglich.
Nach einem kurzen Nickerchen während der Autofahrt - der Sake
ist mir doch irgendwie zu Kopf gestiegen - ist als nächstes
Traditionsunternehmen yoshihama ningyoo an der Reihe . Hier
werden kunstvolle Puppen gefertigt. Das ganze fünfstöckige
Haus ist ein Puppenmuseum, und wir beginnen unsere Besichtigung auf
dem Dach, wo die Familie sogar einen eigenen Schrein hat . Die Puppen
und insbesondere ihre Gewänder sind sehr aufwendig gemacht . In
einem Stockwerk sehen wir die Geschichte Japans in Puppen , ein anderes
stellt ein rauschendes Fest dar, das auf dem Foto noch echter wirkt
als im Original (liegt vielleicht daran, dass man es von Fotos gewohnt
ist, dass sie sich nicht bewegen, während es bei den Puppen schon
auffällt, dass sich das Arrangement nur starr im Kreise
dreht).
Die Rückfahrt führt uns wieder durch diese große
Ebene, wo sich Industriegebäude mit Reisfeldern
abwechseln . Wegen dieser Koexistenz
von Landwirtschaft und High-Tech nennen die Leute ihre Gegend das
Dänemark von Japan (hier ist vielleicht ein ähnlich
gebildeter Geograph am Werke gewesen wie beim japanischen Rhein, den
wir gestern gesehen haben).
Und um die Ähnlicheit zu Dänemark zu unterstreichen, hat
die Stadt, als sie einmal zu viel Geld hatte, einen Park namens
Denpark angelegt. Der sieht so aus, wie die Japaner sich Dänemark
vorstellen, beziehungsweise Europa. Die Bilder mögen hier
für sich sprechen . In einer
Brauereigaststätte lädt Declan uns zu
einem kleinen Bier ein, und wir bewundern auf der Speisekarte die
"original dänischen" Gerichte und die Tatsache, dass auf den
Tischen original dänische Essstäbchen bereitliegen ;-).
Heute war zur Abwechslung mal ein kurzer Tag, und wir sind schon um
18 Uhr wieder zu Hause. Das ist gut, denn dies ist praktisch mein
letzter geruhsamer Abend im Studentenwohnheim, und ich muss mich um
meine Wäsche kümmern.
Hierzu auf Wunsch eines einzelnen Herrn ein paar Details: Nachdem
ich neulich den Waschsalon studiert und über der
Bedienungsanleitung der Waschmaschinen sinniert hatte, habe ich
mich mittlerweile entschieden, die Waschmaschinen im Studentenwohnheim
zu benutzen. Und hier gibt es bei der Bedienung nun wirklich nichts
falschzumachen, denn sie haben überhaupt keine Bedienelemente.
Das heißt doch, einen Knopf haben sie . Ich habe aber noch nie
draufgedrückt. Wäsche und Waschpulver rein, Geld einwerfen
und sie wäscht. Während ich in Deutschland zwischen
Buntwäsche, Pflegeleicht und Gott weiß was sowie zwischen
Temperaturen von 30 bis 95 Grad entscheiden muss, gibt es hier keine
Wahl. Ob die Maschine wohl kalt wäscht? Egal, meine verschwitzten
Klamotten riechen hinterher wieder frisch. Ob allerdings Flecken
rausgehen würden, wenn ich denn mal irgendwo welche hätte,
ist doch zweifelhaft.
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