24.7., schulfreier Samstag

Nach dem Frühstück schaue ich um 8:30 mit Annegret Foto dazu, einer Deutschen, die ebenfalls in meinem Hotel wohnt, im Studentenbüro vorbei in der vagen Hoffnung, dort Iijima san anzutreffen. Aber ntürlich haben die heute frei. Einer sitzt immerhin da und passt auf die Schreibtische auf - und erklärt mir, dass alle heute frei haben.

Mir ist über Nacht durch den Kopf gegangen, dass ich eigentlich unbedingt in dem Hotel bleiben möchte, wenn es schon keine Gastfamilie gibt. Ob ich es wohl noch hinkriege, dass ich nicht ins Studentenwohnheim ziehen muss? Neben den weltlichen Aspekten, dass es im Hotel Frühstück gibt, das Zimmer täglich aufgeräumt wird und das Hotel unmittelbar neben der Schule ist, hat es nämlich noch einen anderen Vorteil: Es hilft der Selbstdisziplin. Denn um 23 Uhr macht es zu, und Frühstück gibt es nur von 7 bis 8. Da ich ja nicht zum Saufen, sondern zum Japanischlernen hier bin, passt mir das eigentlich ganz prima. Abends in der Zig-zag-Bar ein paar Biere nehmen, aber dann hat man eine prima Ausrede, ins Bett zu gehen statt mit Jason und den anderen amerikanischen Jungs noch loszuziehen und Okazaki unsicher zu machen. Ich muss Montagmorgen unbedingt mit Iijima san sprechen. Scheiße, das wird knapp. Ich muss das bis 9 geregelt haben, denn dann geht der Unterricht los, und ich glaube, das Studentenbüro ist erst ab 8:30 besetzt. Und wenn es nicht klappt mit dem Dableiben, dann muss ich ja mein Geraffel aus dem Hotel rausräumen und im Studentenbüro ablegen ...

Im Aufenthaltsraum bin mich mit Annegret zunächst allein und spiele erstmal ein bisschen Klavier. Blöd, dass ich meine Noten nicht mithabe, aber wer ahnt denn auch, dass es hier ein Klavier geben würde? Nach einer halben Stunde kommen drei japanische Mädels herein und unterhalten sich in ihren hohen Piepsestimmchen in einem wahnsinnigen Tempo und mit großer Lautstärke. Ich frage mich, was die bei Yamasa wohl studieren - Japanisch kann es ja wohl nicht sein. Nach einer Weile merke ich, dass sie das, was sie da sagen, ablesen. Sie studieren also anscheinend ein Theaterstück ein. Das Ganze macht jedenfalls einen Heidenlärm, ist aber irgendwie eine authentische Atmosphäre, um Katakana zu lernen.

Nach einer kurzen Tagebuchpause geht es an die letzten Katakana. Das Schulmädchen-Theaterstück ist inzwischen zum Glück zuende, dafür kommt jetzt eine Japanerin mit einem Cello rein und fängt ganz ungehemmt an zu üben Foto dazu. Das ist ja schon lustig hier, dass man zum Üben in einen großen Aufenthaltsraum geht. Immerhin spielt sie nicht schlecht, sodass es sich gut ertragen lässt. Ich frage mich nur, was all diese Japaner mit dem Yamasa-Institut zu tun haben. Oder sind das Außenstehende, die hier einfach hemmungslos den klimatisierten Raum ausnutzen? Das kann ich mir aber nicht vorstellen. Vielleicht sind es Japanisch-Lehrer, die hier ihre Freizeit verbringen. Ich kenn ja noch bei weitem nicht das gesamte Personal der Schule ... hier sollen, wenn ichs recht mitgekriegt habe, 68 Lehrer arbeiten und ca. 300 Studenten sein. Das Cellospiel dauert nur wenig länger als ich brauche, um ein Foto zu machen und diesen Absatz zu tippen; sehr ausdauernd ist die Japanerin nicht.

Der Vormittag vergeht wie im Fluge mit Katakana und kaltem grünem Tee Foto dazu, gefolgt von Sushi zum Mittagessen Foto dazu. Anschließend gehe ich mit Annegret beim Postamt vorbei, um festzustellen, dass es wie bei uns auch üblich samstags und sonntags zu hat. Und jetzt ist endlich das Abenteuer Go-Salon angesagt. Ich hatte Annegret von Go erzählt und sie kommt mit, um sich das mal anzuschauen.

Diesmal ist der Laden geöffnet, an ca. fünf Brettern wird gespielt, alles ältere Herren Foto dazu. Ich ziehe die Schuhe aus, weil man das augenscheinlich hier so macht (es stehen ganz viele Schuhe im Eingangsbereich) und bin mir zwar ziemlich sicher, dass man sich aus dem Regal irgendwelche Plastikschlappen nehmen darf, verzichte aber doch und betrete den Raum lieber barfuß. Wieder einmal muss ich feststellen, dass ich noch erschreckend wenig Japanisch verstehe :-(. Erst als ein mitleidiger Japaner mir auf Englisch sagt, dass man mich gerade gefragt hat, ob ich ein Anfänger bin, dämmert mir, dass ich das eigentlich hätte verstehen müssen und antworte, dass ich 5 Kyu spiele. Der Ladenbesitzer will daraufhin mit mir spielen, ich nehme aber erst einmal mit Annegret Platz und erkläre ihr die Regeln. Wir spielen aber dann nicht, weil es keine 9 × 9-Bretter gibt und auch nichts greifbares, womit man das große Brett abdecken könnte.

Jetzt komme ich auf das Angebot des Ladenbesitzers zurück, und er gibt mir vier Steine Vorgabe. Nach den ersten 30 Zügen wird er plötzlich weggerufen, entschuldigt sich, bleibt 5 Minuten weg und fragt mich als er wiederkommt, ob wir die Partie abbrechen können und ich mit einem anderen Gegner Vorlieb nehme. Ich hoff jetzt mal, das war nicht wegen meines schlechten Spiels. Ich nehm aber nicht an, denn der Gegner, den er mir jetzt vor die Nase setzt, gibt mir fünf Steine. Wir spielen eine ganz nette Partie; insbesondere im Endspiel kann ich ihn mit ein, zwei netten Zügen nochmal ins Schwitzen bringen. Obwohl Schwitzen hier sowieso angesagt ist, in dem Laden ist eine Affenhitze. Lieber wäre mir allerdings gewesen, ich hätte vorher den dicken Fehler Foto dazu nicht gemacht und auch sonst ein bisschen besser gespielt, aber na ja: Mit 6 Punkten verloren. Er lobt mich anschließend und meint, dass ich in Japan wohl eher 3 Kyu bis 1 Kyu wäre, vielleicht Shodan (er will mir wohl schmeicheln, so gut habe ich nun wirklich nicht gespielt). Das deckt sich also mit der Erfahrung, dass man in Japan auf seine Spielstärke 2 draufaddieren darf.

Er bietet mir eine 4-Steine-Partie an, die ich aber ablehne: Nach anderthalb Stunden in der Affenhitze raucht mir der Kopf, und ich will lieber noch ein bisschen in einem Raum mit Klimaanlage japanisch lernen. Jetzt bedeutet mir jemand auf Englisch, dass ich noch 700 Yen fürs Spielen bezahlen muss, also doch. Ich hatte schon zu hoffen gewagt, das wäre hier für nichtsahnende Europäer vielleicht kostenlos, aber er kassiert doch einen Preis im üblichen Rahmen. Ich wusste schon vorher, dass die Go-Salons in Japan üblicherweise kostenpflichtig sind. Dafür bekommt man kalten grünen Tee serviert.

Nach noch einer Runde Katakana treffe ich Adele und Jason (der sich die Haare kurzgeschoren hat, was ihm m.E. nicht so richtig gut steht) und erzähle ihnen von meinem Go-Erlebnis. Die beiden fragen mich, ob ich es ihnen beibringen kann - ha, wieder zwei Opfer. In Ermangelung von Spielmaterial setzen wir uns an mein Notebook und benutzen den SGF-Editor von Cgoban - geht auch. Jason kapiert das Spiel nicht so recht und verliert schnell die Lust, aber Adele ist ein Naturtalent. Mit vier Steinen verlier ich (auf dem 9 × 9-Brett), mit dreien auch. Bei der dritten Partie schafft sie es doch tatsächlich, mir ein Seki in mein Gebiet zu zaubern, was ich sonst nur von Dan-Spielern gewohnt bin, und ich verliere wieder. Alle Achtung. Mal schauen, wie lange ich sie bei der Stange halten kann.

 

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©2004 by Harald Bögeholz