25.7., nichiyoobi

Als ich aufwache, regnet es. Das ist ja mal ne Abwechslung. Aber drückend heiß ist es draußen trotzdem schon - bin ich froh, dass ich die Bedienung der Klimaanlage in meinem Hotelzimmer durchschaut habe.

Das Frühstück bietet heute wieder mal zwei neue Überraschungen - Mist, ich hab die Kamera nicht mit. Die eine ist ein Tütchen mit grünen, rechteckigen Blättchen (Seetang?), die andere ein Ei, das in einem Plastikschüsselchen liegt. Ich frage die Hotelfrau, wie man das isst, und sie zeigt es mir: Man nimmt so ein gründes Blättchen, weicht es in Sojasoße ein und greift sich dann damit ein bisschen Reis, was stäbchentechnisch bereits eine Übung für Fortgeschrittene ist, die ich aber gut meistere. Da das Ei in einer Schüssel liegt, keimt in mir ein Verdacht und ich drehe es verstohlen auf dem Tisch: tatsächlich, roh.

Während ich noch so sinniere, was ich mit einem rohen Ei soll, kommt eine Japanerin rein und demonstriert mir, wie man das isst. Bei den Japanern geht das Frühstück übrigens superfix: In kaum 10 Minuten hauen die sich das rein, dann sind sie wieder weg. Sie schlägt jedenfalls ihr Ei in die Schüssel, würzt es mit etwas Sojasoße und rührt es kräftig durch, ehe sie sich etwas davon auf ihren Reis tut. Aha. Ich mache es genauso, und es schmeckt gar nicht schlecht.

Annegret beschließt, das Studentenwohnheim besichtigen zu gehen, und ich schließe mich ihr an. Es regnet nicht mehr und ist - nachts um 8:30 Uhr wohlgemerkt - brüllend heiß. Die Luftfeuchtigkeit liegt glaube ich in der Nähe von 100 % oder kurz darüber, und nach dem nur zehnminütigen Spaziergang zum Wohnheim bin ich komplett durchgeschwitzt. Ich flüchte kurz in einen klimatisierten Supermarkt und kaufe mir eine Literflasche Wasser, die keine Viertelstunde lang reicht.

Das Wohnheim kann man augenscheinlich nur mit Schlüssel betreten, und auf einem Schild steht, dass alle Besucher sich beim Manager anmelden müssen. Das ist uns zu doof, und wir gehen zurück zur Schule, wo ich im Aufenthaltsraum die Klimaanlage anwerfe, erst einmal ein halbes Stündchen Klavier spiele und dann bei Eiskaffee aus dem Automaten diese Zeilen schreibe.

Ich wiederhole nochmal meine Katakana und stelle mit Genugtuung fest, dass ich sie tatsächlich alle kann. Leider haperts mit dem Schreiben mancher Hiragana noch, sodass ich weiter übe. Irgendwie hab ich keine Lust, ernsthaft an meine Hausaufgaben zu gehen, und der Tag tröpfelt so dahin, während ich abwechselnd ein paar Schriftzeichen kritzle, Annegret "Für Elise" beibringe und versuche, mir einige neue Vokabeln aus den ersten Lektionen meines Japanischbuchs zu merken.

Beim nächsten Kaffee trifft mich die Erkenntnis wie ein Blitzschlag. Mein Unterbewusstsein hatte schon registriert, dass der gleiche Kaffee irgendwie manchmal mit Milch ist und manchmal ohne, obwohl ich doch immer den linken Knopf unter dem gleichen Bild gedrückt habe Foto dazu. Tja, aber da gibt es vier Knöpfe unter zweimal dem gleichen Bild, und jetzt kann ich auf einmal Katakana lesen! burakku ist schwarz ("black"), kuriimu ist Milch ("cream"), die beiden komplizierten Kanji dann wohl offensichtlich Zucker, und der vierte Knopf ist für Milch und Zucker. Ich hatte bisher immer den linken gedrückt, aber nicht immer unter demselben Foto. Tja, und dann gabs halt manchmal mit Milch und manchmal ohne.

Der Eiskaffee kostet übrigens 70 Yen. Auf Wunsch einer einzelnen Dame: das sind 52 Cent. Ein Euro sind etwa 135 Yen. Eselsbrücke zum Kopfrechnen: Man denke sich, Yen sind Cent und ziehe ein Viertel des Betrages ab. Oder für ganz Faule: Man denke sich, Yen sind Cent, wundere sich im Urlaub, wie teuer alles ist und spare, um dann nach der Rückkehr festzustellen, dass doch alles 25 % billger war als gedacht.

Ich verstehe die Welt um mich herum auf einmal viel besser, seit ich Katakana lesen kann. Es geht zwar noch etwas langsam, aber immerhin. Auf dem Ding neben dem Waschbecken Foto dazu steht arukooru ("alcohol") und unten für die Doofen supurei botoru ("spray bottle"). Wie konnte ich Depp nur nach Japan fahren, ohne Katakana zu lernen? Na ja, das wäre ja jetzt geschafft, dank der einprägsamen Eselsbrücken-Bildchen, die auf dem Übungsmaterial von meinem Sensei sind Foto dazu. Und jetzt weiß ich auch, dass ich zum Naschen kashiyuu nattzu gekauft habe.

Jason mault, dass ihm langweilig ist und blättert lustlos in seinem Japanischbuch. Er meckert, dass sein Unterricht langweilig ist und er doch eigentlich schon viel zu viel weiß, um im Anfängerkurs zu sein. Wir lesen uns gegenseitig ein paar Sätze aus Lektion 2 vor, und ich denke mir im Stillen, dass die Yamasa-Leute das in seinem Fall schon vollkommen richtig eingeschätzt haben ;-). (Was allerdings mich betrifft, bin ich mir nicht sicher, ob man mich nicht doch überschätzt hat. Au Backe, morgen ist Lektion 14 dran!) Und sehr geduldig ist er auch nicht. Ich schmeiße daher eine Folge Hikaru no Go an und habe sofort drei aufmerksame Zuschauer, die auch noch drei weitere Folgen durchhalten (à 20 Minuten). Nur Jason haut nach ein paar Minuten ab.

Es ist Wahnsinn: Schon jetzt fangen die Puzzleteile in meinem Kopf an, ineinander zu greifen. Ich verstehe bei Hikaru no Go immer mehr. Zwar immer noch nicht so viel, dass ich der Handlung ohne Untertitel folgen könnte, aber es macht einen Riesenspaß. Und ich habe nur ein minimal schlechtes Gewissen wegen der Hausaufgaben, die ich immer noch nicht gemacht habe, denn immerhin lerne ich mit Hikaru no Go ja auch Japanisch.

Abends setze ich mich dann doch noch an die Hausaufgaben, aber ich habe sie unterschätzt: Ich schaffe sie nicht vollständig und schlafe mehr oder weniger über meinen Büchern ein, um um Mitternacht nochmal kurz aufzuwachen und das Licht auszumachen.

 

(Gästebuch außer Betrieb)     Inhaltsverzeichnis     weiter >


©2004 by Harald Bögeholz