23.7., der erste Schultag

Ich wache um 4 auf und kann nicht mehr einschlafen. Aus dem Nachbarzimmer höre ich die Filmmusik von Karate Kid - noch ein schlafloses Jet-Lag-Opfer? Dann schau ich halt auch Karate Kid. Ist schon lustig so mit japanischer Synchronisation. Aber dann kommt der Hammer: Nach einer Werbepause fehlt plötzlich ca. eine halbe bis dreiviertel Stunde vom Film! Die haben einfach ein Riesenstück rausgeschnitten! Na ja, da spart man Zeit; von der Szene, wo er das gelbe Auto geschenkt bekommt, gehts direkt zur Schlussszene mit dem Karateturnier. So ist der Film nach 20 Minuten zuende, ich schlafe noch ein Stündchen, um dann um 5:30 endgültig aufzuwachen. Ich hätt nie gedacht, dass ich mal ungeduldig darauf warten würde, dass es um 7 endlich Frühstück Foto dazu Foto dazu gibt. Die Zeit dazwischen verbringe ich mit Hiaragana-Schreibübungen, was will man sonst machen?

Um kurz vor 9 gehe ich die Reihe mit den Klassenzimmern entlang und finde mich an einer Tür auf einer Liste mit sechs weiteren Studenten wieder. Wir sind also nur zu siebt in der Klasse. Punkt 9 gehts los ... und ist hammerhart. Wie angedroht, spricht der Lehrer nur japanisch, und er schießt ein Feuerwerk an Fragen reihum und kreuz und quer auf die Leute los, dass es nur so kracht. Und da wir nur sieben Leute sind, gibt es kein Entkommen und kein Verkriechen in der letzten Reihe (gibt eh keine Reihen, wir sitzen in einer Runde).

Und ganz selbstverständlich muss man Hiragana und Katakana können. Hiragana lesen kann ich ja halbwegs, wenn es auch noch einige wenige gibt, die ich verwechsle. Aber schreiben kann ich erst ungefähr zwei Drittel, was das Mitschreiben unheimlich erschwert. Da wird wohl ein Wochenende Hiragana-Training sein müssen, damit das am Montag besser wird. Ach ja, und schon allein wegen der Hausaufgaben, von denen es auch reichlich gibt. Au Backe - hab ich mich beim Einstufungstest versehentlich wohl doch etwas zu gut angestellt. Ich bin in einer Klasse gelandet, die in Lektion 14 des hier benutzten Japanischbuchs Minna no Nihongo I einsteigt. Das ist das dritte Modul; mein zweijähriges Selbststudium ist also nach deren Einschätzung vier Wochen Yamasa-Intensivunterricht wert. Da werde ich wohl das Wochenende damit verbringen, die Lektionen 1 bis 13 durchzuarbeiten, denn die werden vorausgesetzt, und da sollte ich keine Lücken haben.

Ich bin so ausgepowert von den nur drei Stunden Unterricht, dass mir erst einmal nichts mehr zu schreiben einfällt. Fotos gibt es auch nur vier neue. Zum Mittagessen hole ich mir im Supermarkt nebenan wieder eine Box mit Sushi - ich kann davon einfach nicht genug kriegen. Lecker Sushi für 600 Yen, genial!

Und jetzt an die Arbeit. Mist, ich muss Hiragana und Katakana unbedingt fließend lesen und schreiben lernen, sonst geh ich Montag unter. Zumal es dann auch schon gleich zu Anfang einen Test geben soll - was, wenn der schriftlich ist?

Zur Info für diejenigen, die keine Ahnung von Japanisch haben: In Japan wird mit drei Schriftsystemen geschrieben: Hiragana, Katakana und Kanji. Hiragana und Katakana sind Silbenalphabete. Beide umfassen denselben kompletten Satz an Silben - eines davon, etwa Hiragana, würde also im Prinzip ausreichen, um das komplette Japanisch so aufzuschreiben, wie es gesprochen wird. Aber als Schikane für Ausländer haben die Japaner noch ein zweites Silbenalphabet erfunden, Katakana, und benutzen es, um Lehnwörter und Eigennamen zu schreiben. Und dann gibt es noch die Kanji. Das sind die chinesischen Schriftzeichen, und 1.945 davon sind irgendwie standardisiert - so viele lernt ein Japaner im Laufe seiner Schulzeit. Ehe ich mir die Finger wundtippe: Hier hat jemand anderes das schön aufgeschrieben.

Ich kann jedenfalls Hiragana ganz gut lesen - kriege nur manchmal noch wa, ne und re durcheinander sowie ra, ru und ro. Aber meist erschließt sich irgendwie aus dem Kontext, welches es ist. Schreiben hatte ich bisher nur bis to geübt und dann irgendwie die Lust verloren. Das sind leider nur 20 von 46 Zeichen. Durch meine Schlaflosigkeit heute morgen habe ich immerhin noch weitere 10 gelernt, also bis ho. Katakana kann ich aber so gut wie überhaupt nicht lesen, und schreiben schon gar nicht. Und wie schafft man es, als halber Analphabet beim schriftlichen Einstufungstest so gut abzuschneiden, dass man ins dritte Modul kommt? Ganz einfach, da gehts überwiegend um Grammatik. Und ich muss nicht wissen, was ein Wort heißt, um mich zu entscheiden, ob es ein Akkusativobjekt ist oder so.

Ich dackle also nach dem Mittagessen zu meinem Lehrer und sage ihm, dass ich keine Katakana lesen kann. Er schaut mich fassungslos an und fragt mich zenzen yomemasen ka? - nein, wirklich überhaupt nicht honto ni zenzen yomemasen. Er kramt in seiner Bibliothek und kopiert mir Übungsmaterial. Na dann kanns ja losgehen.

Nach anderthalb Stunden hab ich keine rechte Lust mehr, denke aber, dass ich die ersten 20 Katakana jetzt schreiben und wiedererkennen kann. Ich sitze hier in dem großen Aufenthaltsraum, in dessen auf dem Foto Foto dazu nun ausgerechnet nicht abgebildeter Ecke ein Klavier steht, das eine Studentin die letzte Viertelstunde gar schrecklich gefühllos malträtiert hat. Zum Ausgleich spiel ich selber ein bisschen Klavier, das klingt schon viel besser. Beziehungsweise nervt es einen selbst ja viel weniger, wenn man übt, und meine falschen Töne sind das Problem der anderen Anwesenden *g*.

Bei meinem Erstbesuch der Toilette hier entdecke ich wieder etwas Neues: Beheizbare Toilettensitze Foto dazu. Ich probiere die Sitzheizung aber nicht aus, denn heiß genug ist mir auch so. Am Waschbecken hängt doch tatsächlich eine Anleitung, wie man sich richtig die Hände wäscht Foto dazu. Man soll sie nämlich nicht nur waschen, sondern anschließend nach dem Abtrocknen mit dem dafür bereitstehenden Alkohol desinfizieren. Sind anscheinend ein sehr hygienisches Völkchen, die Japaner (beziehungsweise steht dies im krassen Gegensatz zu der Schwimmbad-Geschichte, die ich in dem Buch "Darum nerven Japaner" gelesen habe).

Noch einmal kurz ins Internet schauen (hier gibts WLAN), dann mach ich mich auf zum Studentenbüro, um mich zu erkundigen, wann ich denn nun eigentlich wohin umziehen soll. Das muss wohl Telepathie gewesen sein, denn die für Unterkünfte zuständige Iijima san eilt sofort auf mich zu und sagt mir, dass das Wohnheimzimmer frei sei und ich wahlweise heute oder Montag umziehen kann. Da ich momentan in einem Hotel wohne, in dem es erstens Frühstück und zweitens ein Bett gibt, das darüber hinaus täglich gemacht wird, sehe ich keinen Grund, schon heute in das Wohnheimzimmer zu ziehen. Dort gibt es nämlich nur ein Holzgestell, und Iijima san fragt mich, ob ich denn eigentlich einen Futon haben möchte. Merkwürdige Frage, natürlich, wie stellt sie sich denn vor, dass ich ganz ohne irgendeine Art von Unterlage schlafen soll? Ich habe von anderen Studenten aufgeschnappt, dass das mit dem Futon auch nicht notwendigerweise reibungslos klappt, insofern finde ich die Entscheidung, noch bis Montag im Hotel zu bleiben, sinnvoll.

Jetzt endlich Go spielen. Ich laufe zum nahegelegenen Go-Salon, werde aber enttäuscht. Dort sind fünf Japanerinnen, die, als ich (hoffentlich) sage, dass ich Go spielen will, mir irgendwas von doyoobi und nichiyoobi erzählen (so weit hab ichs, das ist Samstag und Sonntag) und dann ganz viel Unverständliches, in dem für meinen Geschmack etwas oft die Silbe nai vorkommt, was eine Verneinungsform ist, ich weiß nur nicht, von welchem Verb. Irgendwann verstehe ich was von ab 13 Uhr, sage (hoffentlich), dass ich am Samstag wiederkommen werde, deute ihr Nicken und Lächeln als gutes Zeichen, dass da vielleicht tatsächlich jemand Go spielt und verabschiede mich. Sie sagt mir noch, dass ich eifrig studieren soll (den Teil versteh ich wieder, aber die Bemerkung hätte sie sich nach dem kommunikativen Fiasko auch sparen können). Hoffen wir also, dass dort am Samstag Go gepielt wird.

Also kein Go und nix verstehn. Ein deutlicher Wink des Schicksals, dass ich lieber Japanisch lernen soll. Erstmal lenk ich mich aber damit ab, diese Zeilen zu schreiben. Jetzt aber noch ne Runde Katakana, heute kein Bier vor Sonnenuntergang ...

 

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©2004 by Harald Bögeholz