20.4., Regen, noch mehr Regen und zwei Regenhosen

Es regnet. In Strömen. Und kein Ende ist in Sicht. Nicht, dass das überraschend käme, die Wettervorhersage scheint hier recht präzise zu funktionieren, jedenfalls bis zum nächsten Tag. Da ich mich heute mit dem Duschen beeilen musste (heut ist Waschtag), habe ich ein Viertelstündchen länger Zeit zum Frühstück und scherze mit meiner Gastmutter: Wenn es regnet, gehe ich einfach nicht zur Schule. Kommt überhaupt nicht in Frage! ...

Um 8 will ich eigentlich aufbrechen, aber es hört nicht auf zu regnen. Ich lasse dem Wetter noch 10 Minuten Zeit, seine Meinung zu ändern, aber es hilft alles nichts: Ich muss zur Schule. Also ziehe ich den Regenmantel an, den ich gestern geliehen bekommen habe (kashite moraimashita, das mit dem Geben und Bekommen geht mir nicht aus dem Kopf). Ob ich nicht doch einen Schirm mitnehmen möchte? Nein, ich kann mir nicht vorstellen, mit einem Regenschirm Fahrrad zu fahren, das ist unpraktisch. Also ziehe ich ohne Schirm los.

Es kommt mir so vor, als wären heute weniger Schüler mit dem Fahrrad unterwegs und mehr zu Fuß. Außerdem beobachte ich an der High School, an der ich vorbeikomme, eine ungewöhnliche Dichte an dort einbiegenden Autos. Anscheinend lassen sich etliche Schüler von ihren Eltern bringen. Die Schüler, die trotz des Regens mit dem Fahrrad unterwegs sind, tragen entweder knallhart nur ihre Schuluniform (keinen Regenmantel drüber) oder radeln mit Schirm.

In der Schule angekommen, bin ich von den Oberschenkeln abwärts klatschnass. Und mein Rucksack hat auch nicht ganz dichtgehalten; als ich das Notebook heraushole, sehe ich mit Sorge einige Wassertropfen. (Ich schreibe dies abends, Notebook und Kamera geht es gut.) Ich muss unbedingt heute Nachmittag eine Regenhose kaufen gehen. Und mir etwas für den Rucksack einfallen lassen; vielleicht einfach ein Regenmantel Größe XL, den ich über den Rucksack ziehen kann.

Der Schultag beginnt wie immer mit einem Test. Ich habe es glaube ich noch nicht erwähnt, aber der allmorgendliche Test ist anspruchsvoller als im letzten Jahr. Letztes Jahr wurden stumpf so an die 10 Vokabeln abgefragt, und das auch noch genau in der Reihenfolge, wie sie im Buch standen. Das Frühjahrs-Kursprogramm oder zumindest meine Klasse hat anscheinend ein höheres Niveau: Mit Bildern, Händen und Füßen erklärt die Lehrerin einen Sachverhalt, und wir müssen dann einen ganzen Satz aufschreiben. Vokabeln werden anschließend auch noch abgefragt, aber immerhin in etwas anderer Reihenfolge. Diese Tests bekommen wir übrigens, wie alle abgegebenen Hausaufgaben, am nächsten Tag zurück. Oder schon am selben Nachmittag, hier zum Beispiel der von heute Foto dazu. (Ja, ich bin ein Streber, schon wieder alles richtig. Abgesehen davon, dass ich, wenn ich schnell schreiben muss, leider manchmal Teile der Hiragana-Zeichen verschlucke, sodass sie eine andere Bedeutung bekommen. Das ist nicht wirklich gut, das muss ich noch üben.)

Der Schultag lässt sich halbwegs aushalten, aber vermutlich auch nur, weil ich auch diese Lektion im Prinzip schon beherrsche (nur nicht in der Praxis). Trotzdem bin ich nach fünf Stunden Unterricht fix und fertig. Erst einmal daddle ich ein Stündchen lang mit dem Internet herum (danke, die ein oder andere Mail habe ich inzwischen bekommen), und dann mache ich mich daran, mit meiner schlauen Vokabellern-Software Vokabeln zu wiederholen. Markus (der Go-Spieler) sitzt am Nachbartisch und hat auch keine rechte Lust zum Lernen. Nach einigen Fehlversuchen (Declan ist nicht wirklich immer während der Öffnungszeiten des International Office da) erwische ich Declan und leihe das Go-Brett aus.

Die Go-Partie macht Spaß, wenn ich sie auch verliere; ich habe den Eindruck, Markus ist etwas stärker als ich. Wie in unserer ersten Partie hat er am Anfang was größeres vermasselt. Leider habe ich die schon gefangenen Steine dann durch einen technischen Fehler doch wieder entkommen lassen... ach, ich erspare Euch die Details, musste jedenfalls aufgeben, als er einer großen Gruppe den Todesstoß versetzt hat. Leben und Tod muss ich echt noch üben.

Es regnet immer noch ununterbrochen, und ich habe immer noch keine Regenhose. Da ich üblicherweise gegen 7 zu Hause bin, muss ich mich halt jetzt in den Regen stürzen, um im nahegelegenen 100-Yen-Shop eine Regenhose kaufen zu gehen. Er ist zwar nur ein paar hundert Meter entfernt, aber meine Hose ist schon wieder feucht, als ich dort ankomme. Nachdem ich einige Minuten lang erfolglos gesucht habe, frage ich eine Verkäuferin nach einer Regenhose und werde zu einem Regal weit ab jeglicher Bekleidung geführt, wo ich im Traum nicht gesucht hätte.

Es gibt eine große Auswahl an Regenmänteln verschiedener Größen (reinkooto steht auf den meisten in Katakana drauf), aber nur eine Sorte Hosen, 70 cm lang. Was weiß ich, wie lang meine Beine sind. Und von Bauchumfang steht gar nichts auf der Packung :-). Na ja, für 100 Yen (plus Steuer, also 105 Yen, das sind 75 Cent) kann man nicht viel falsch machen, und ich entscheide mich für die einzige verfügbare Hose und einen reinkooto Größe XL, in der Hoffnung, dass der über den Rucksack passt.

Draußen unter dem Dach schlüpfe ich in die Hose und packe die Regenjacke aus – um festzustellen, dass es sich ebenfalls um eine Hose handelt! Ich Idiot! Dabei war sogar eine Hose auf der Packung abgebildet, ist denn das die Möglichkeit Foto dazu? Ich war so stolz, dass ich Katakana lesen kann, dass ich bei reinkooto zugegriffen habe. kooto heißt Mantel, das ist ein Wort, das ich schon offiziell im Unterricht gelernt hatte. Der Schluss, dass reinkooto dann Regenmantel heißen muss, war leider falsch. Beziehungsweise laut meinem Wörteruch absolut richtig, aber ich musste heute erfahren, dass nicht unbedingt ein Regenmantel drin ist, wenn reinkooto draufsteht. Ich ertappe mich kurz bei dem Gedanken, nach einem Umtausch zu fragen, aber das ist mir dann doch zu peinlich. Habe ich halt 75 Cent in den Sand gesetzt. Aber soll ich jetzt nochmal reingehen und mir noch einen Regenmantel Größe XL kaufen? Während ich so mit mir hadere, geht mir auf, dass es tatsächlich inzwischen aufgehört hat zu regnen. Na also, dann fahr ich jetzt einfach so los.

Es ist schon fast ganz dunkel, und nicht genug, dass es nach Hause überwiegend bergauf geht, heute weht auch noch ein fieser Gegenwind, sodass ich ziemlich kaputt bin, als ich zu Hause ankomme. Und durchgeschwitzt, über meiner ohnehin feuchten Hose hatte ich ja jetzt noch die undurchlässige Regenhose an. Bäh, Mistwetter. Hoffentlich wird es morgen wieder besser.

Nach dem Abendessen unterhalte ich mich wieder mal ein bisschen mit meiner Gastmutter. Sie steckt Geld in einen Umschlag, beschriftet ihn und klebt ihn zu und versucht mir dabei das japanische Wort für Klebstoff beizubringen – hat aber nichts genützt, ist schon wieder weg. Vielleicht sollte ich zukünftig mein Notizheft auch mit an den Esstisch nehmen, in dem ich mir immer die neuen Vokabeln notiere, die ich lernen will.

Das Geld ist für eine Probe-Aufnahmeprüfung für die Uni, und so unterhalten wir uns ein bisschen über das japanische Bildungssystem und später über das deutsche. Das alles allerdings überwiegend auf Englisch, wobei ich immerhin versuche, wenigstens mal ein paar Brocken auf Japanisch einzustreuen, wenn ich ausnahmsweise mal etwas weiß.

Gegen 21:30 möchte Chihiro gerne noch CDs kaufen gehen und bittet ihre Mutter, sie zu fahren. Ob ich mit will? Nein danke, ich muss ja noch meine Hausaufgaben machen. Obwohl es nur zwei Seiten sind, beschäftigen sie mich über eine Stunde lang; irgendwie schwierig heute...

 

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©2005 by Harald Bögeholz