6.9., Ein kiloschweres Hustenbonbon zum Kuscheln

Ich checke um 9 aus dem Motel aus und gehe zum Frühstück nebenan in das Internet-Cafe, das ich gestern geortet habe Foto dazu. Leider funktioniert die Netzwerkverbindung nicht: Es sind zwar extra Steckdosen für Leute mit eigenen Rechnern da, aber beide sind tot. Dann eben nicht.

Nach dem Frühstück ist mir irgendwie noch nicht nach Autofahren zumute, und ich arbeite in der Morgensonne die Tagebucheinträge der letzten zwei Tage nach. Anderthalb Stunden später laufe ich kurz ein bisschen in Townsville herum Foto dazu, beschließe dann aber, dass mich die Stadt nicht interessiert und fahre lieber in den Zoo. Das Billabong Sanctuary liegt 17 km südlich von Townsville, und ich hatte es mir extra vorgemerkt; primär, weil ich mir mal einen Koala anschauen wollte. Und wegen der Vögelchen. Und wenn ich schon mal da bin, kann ich auch die Krokodile besichtigen.

Alles in allem ist der Zoo aber nicht berauschend. Als ich ankomme, steht gerade die Krokodilfütterung auf dem Programm. Die Krokodile haben aber keine rechte Lust. Der Tierpfleger erklärt, dass ihnen kalt ist: Heute sind nur 25 Grad; unter 28 Grad frieren sie und haben keine rechte Lust, sich zu bewegen. Er kriegt das ein oder andere Krokodil aber dann doch motiviert, nach den dargebotenen Fischen zu schnappen Foto dazu, und ich bin schon ein bisschen überrascht, wie schnell und wie hoch so ein träge aussehendes Biest schnappen kann Foto dazu.

Der Tierpfleger erklärt, dass Krokodile faule Zeitgenossen sind. Im Wesentlichen warten sie unauffällig so lange, bis passende Beute ihnen so dicht vors Maul kommt, dass sie sich nicht allzu viel bewegen müssen. Ein ausgewachsenes Krokodil kann angeblich bis zu 6 Monate im Wasser liegen und auf Beute warten. Dann ist es aber wirklich hungrig; dann würde der Tierpfleger das Gehege lieber nicht betreten. Als ich das Tempo sehe, mit dem sich die Viecher mitunter kurzzeitig bewegen, wird mir im Nachhinein noch ganz mulmig zumute: Damals, 1992 in Florida, bin ich für Fotozwecke doch recht nahe an so einen regungslos daliegenden Alligator rangegangen. Da habe ich wohl Glück gehabt, dass er keinen Hunger hatte oder ich ihm zu unhandlich schien.

Was das Angebot an Vögelchen betrifft, bin ich von diesem Zoo eher enttäuscht. Mit einer Ausnahme: Endlich kann ich die Cassowaries besichtigen, die ich gestern so aufmerksam versucht habe, nicht zu überfahren. Zwei Stück haben sie hier; wie ich von einer Pflegerin erfahre, ein Männchen und ein Weibchen. Sie sehen einander sehr ähnlich; hauptsächlich posiert das Weibchen vor meiner Kamera Foto dazu Foto dazu. Ich würde sagen, so ein Cassowarie reicht mir bis zum Bauchnabel; ich kann mir jetzt vorstellen, dass so ein Viech einen doch ernsthaft angreifen könnte, wenn es sich bedroht fühlt.

Die beiden sind in ihrem Gehege durch einen Wassergraben getrennt, und die Pflegerin erklärt mir, das sei, weil das Männchen gerade brütet und das Weibchen ihn mit ihrem Charme ansonsten zu sehr von seiner Arbeit abhalten würde. Gut, dass sie mir das erklärt hat; dass da Eier sind, sehe ich erst im Sucher meiner Kamera durch das Teleobjektiv Foto dazu. Man erwartet also Nachwuchs, schön. Schade nur, dass ich keine Cassowarie-Küken zu Gesicht bekomme.

Ich gehe extra zeitig zu den Koalas, denn ich habe mir in den Kopf gesetzt, mal einen Koala auf den Arm zu nehmen. Das steht hier für 13:30 Uhr auf dem Programm, und ich möchte es nicht verpassen. Wie erwartet, schlafen die Koalas Foto dazu. Das ist kein Wunder, denn Koalas schlafen 20 Stunden am Tag. Die restliche Zeit essen sie. Was für ein Leben! Ich kann mich wohl glücklich schätzen, dass ich beobachten (und mit meiner Kamera festhalten) kann, wie ein Koala aufwacht Foto dazu, sich einen Meter weit einen Ast entlang bewegt Foto dazu, einen halben Meter nach oben klettert Foto dazu und sich dann zusammenknuddelt Foto dazu, um wieder einzuschlafen Foto dazu. Gerald, hast Du eigentlich schon einen Stoff-Koala? Die sind ja wirklich unglaublich süß, die Viecher.

Als der offizielle Teil der Show beginnt, stelle ich mich extra weit vorne in die Schlange, aber die Sorge war wohl unbegründet: Jeder Interessierte darf den Koala mal halten. Im Vergleich zu seinem Leben in freier Wildbahn hat dieser also einen knochenharten Job hier: Bestimmt eine Viertelstunde "Arbeit" jeden Tag. Dem Koala ist es offensichtlich völlig egal, ob er sich an einen Eukalyptusbaum oder einen Touristen kuschelt. Außerdem macht er das ja jeden Tag, sodass er dazu nicht wirklich aufwachen muss. Aber er hat die Augen offen. Und duftet leicht nach Eukalyptus, wie in meinem Reiseführer beschrieben. Da die Viecher sich von nichts anderem als Eukalyptusblättern ernähren, dringen die ätherischen Öle aus jeder Pore. Ein Koala fühlt sich also an wie ein kiloschweres, weiches, kuscheliges Hustenbonbon. Ich glaube, ich hätte auch gern einen zu Hause. Die Menge an Zuwendung, die ein Koala zu brauchen scheint, harmoniert anscheinend hervorragend mit meinem Lebenswandel in Hannover. Nur wo krieg ich das dauerhaft warme Wetter und die Eukalyptusbläume her?

Der Australier, dem ich meine Spiegelreflexkamera in die Hand drücke, gehört bereits zur verweichlichten Digicam-Generation, die keinen Sucher mehr kennt, hält die Kamera verwundert einen halben Meter von sich entfernt und schießt blind ein paar Fotos. Dafür, dass er nichts gesehen hat, bin ich recht gut getroffen Foto dazu; bin ich froh, dass ich wohlweislich vorher auf ungefähr Normalbrennweite und Automatik gestellt habe. Ihm zu erklären, dass man durch einen Sucher schauen und die Brennweite durch Drehen eines Rings am Objektiv statt durch Tastendrücke verändern kann, hätte womöglich zu lange gedauert *g*. Im Nachhinein wird mir übrigens klar, was es mit den kostenlosen Fotos mit BYO Kameras auf sich hat, von denen im Prospekt die Rede war. Bring Your Own, so einfach ist das :-).

Ich fotografiere noch einige Vögelchen - die meisten durch Gitterstäbe, von denen man erstaunlich wenig sieht, wenn man das Objektiv einfach direkt daran hält - und breche dann gegen 14:30 auf. Allmählich wird mir bewusst, dass ich mich wohl ein bisschen beeilen muss. Ich komme auf meiner Australienkarte nur millimeterweise voran, und in zehn Tagen will ich schon in Sydney sein. Dummerweise überkommt mich bald eine bleierne Müdigkeit, und ich kann absolut nicht mehr fahren. Die Straße ist so unglaublich eintönig: Immer geradeaus, und das Auto vor mir fährt die ganze Zeit exakt 100, *schnarch*. Ich biege auf einen Standstreifen ab, klappe meinen Sitz zurück und mache ein Nickerchen. Nur etwa 20 Minuten, aber die wirken Wunder: Jetzt bin ich auf einmal wieder wach und genieße es so richtig, diesen Highway entlangzukullern.

In Ayr schieße ich nur schnell ein paar Fotos von der Durchgangsstraße Foto dazu und fahre weiter Foto dazu. Einem Schild "Scenic lookout" kann ich nicht widerstehen und kurve einen kleinen Hügel hoch, der einen hübschen Rundblick bietet Foto dazu Foto dazu und auf dem ansonsten ein paar Richtfunkantennen stehen Foto dazu. Ohne weitere Verzögerungen komme ich gegen Sonnenuntergang Foto dazu in Bowen an. Da ich keine Lust habe, nachts zu fahren, kehre ich hier ein. Dieser Ort ist noch toter als Townsville; so gut wie alles hat hier um kurz nach 18 Uhr zu. Aber sie haben hier auch zwitschernde Bäume; wieder sehe ich so gut wie nichts, als ich im Dunklen unter dem Baum stehe, aber das Blitzlicht-Foto zeigt im Nachhinein, was ich nur höre: ganz viele Vögelchen Foto dazu.

Nachdem ich ein Stündchen in meinem Zimmer verbracht habe, beschließe ich, ein Bier in der Bar zu nehmen, die zu diesem Motel gehört. Dort sind immerhin einige wenige Menschen. Kaum sitze ich an der Bar, schmeißt sich eine mittelalterliche Australierin an mich ran, ob ich ihr nicht ein Bier ausgeben möchte. Nein, eigentlich nicht, warum? Ob ich denn schon eine Bleibe hätte für die Nacht? Ja, gleich hier im Motel. Das ist ja schade *hicks* - sie wirkt leicht betrunken. Ob ich ihr nicht ein Bier ausgeben möchte? Nein, ich sehe eigentlich keinen Grund, warum. Sie schaut auf den Ohrring an meinem rechten Ohr und meint: "Oh, you're a fag. That's why you won't buy me a beer." Damit ist für sie alles klar, und ich mache keinen Versuch, ihr zu erklären, dass ich gerne jemandem ein Bier ausgebe, der sich nett mit mir unterhält, aber jeden, der mich als Eröffnung als erstes fragt, ob ich ihm ein Bier kaufe, abblitzen lasse. Außerdem hat fag irgendwie eine pejorative Konnotation. Was ich kurz und völlig vergebens versuche, ihr auf Englisch zu erklären. Also noch ein bisschen Fernsehen im Motelzimmer und früh ins Bett.

 

(Gästebuch außer Betrieb)     Inhaltsverzeichnis     weiter >


©2004 by Harald Bögeholz