12.8., Ein fauler Feiertag

Ich schlafe schlecht, weil mir die Schulter wehtut und ich nicht recht weiß, wie ich mich hinlegen soll. Flach auf dem Rücken schmerzt die Schulter nicht, aber auf die Dauer der Rücken, weil der Futon irgendwie doch zu hart ist. Rechte Seite geht gar nicht, und linke Seite wird auf die Dauer langweilig. Der Wecker um 6:30 entwickelt sich zum Running Gag ;-), ich bleibe aber bis 11 im Bett. Wozu ist schließlich Feiertag?

Nach dem Aufstehen überlege ich, ob ich wohl doch besser zu einem Unfallarzt gehen sollte. Ich taste die Schulter gründlich ab, und alles, was Knochen ist, fühlt sich intakt an. Die schmerzende Stelle scheint ein Muskel zu sein. Ich kann den Arm auch prinzipiell noch in alle vorgesehenen Richtungen bewegen, wenn der betreffende Muskel auch bei einigen Bewegungen recht stechend schmerzt. Die Selbstdiagnose lautet also: Nur eine Prellung, vielleicht kombiniert mit einer leichten Muskelzerrung.

Ich muss an Caren(?) denken, ein Mädel aus England, das ich oberflächlich kenne Foto dazu. Die liegt seit ein paar Tagen im Krankenhaus, musste sich den Blinddarm herausnehmen lassen. So etwas würde ich auch nicht ausgerechnet in einem Land machen wollen, wo ich der Sprache noch so wenig mächtig bin. Ganz abgesehen davon, dass sie natürlich ihren Unterricht verpasst.

Zum Frühstück kauf ich mir Kleinkram im Mini-Stop. Unter anderem wieder ein o nigiri; diesmal denke ich daran, Euch zu zeigen, wie so etwas aussieht Foto dazu.

Ich nehme das Go-Brett in Augenschein. Der Schaden hält sich zum Glück in Grenzen, wobei ausgerechnet die Kante angebröselt ist, die im zusammengeklappten Zustand in der Brettmitte ist Foto dazu. So ein Mist. Da leih ich mir das nagelneue Spielmaterial aus und dann passiert gleich sowas. Ich muss mir noch überlegen, ob ich Declan ein Geständnis mache oder die Sache einfach vertusche. Das kleine Brett hat so gut wie nichts abbekommen, und auf dem großen werde ich wahrscheinlich in der Bar eh nicht spielen, mangels adäquater Gegner.

Da meine Fans schon wieder ungeduldig sind, setze ich mich erst einmal für zweieinhalb Stunden an mein Tagebuch. Thorsten fragt per ICQ, was denn eigentlich für ein Feiertag ist hier. Es handelt sich um Obon; das ist anscheinend ein langes Wochenende und geht von Donnerstag bis Sonntag. Eine Kommilitonin hat mir gestern zwischen Tür und Angel erzählt, dass da wohl die Toten geehrt werden, in dem man ihnen unter anderrem am Donnerstag etwas kocht, was man dann am Sonntag rituell verbrennt, um sie wieder zu entlassen. Oder so. Während ich diese Zeilen schreibe, überkommt mich ein leichter Anflug von schlechtem Gewissen - eigentlich sollte man sich ein bisschen mehr für die Kultur des Landes interessieren, wenn man schon mal hier ist. Vielleicht les ich das mit dem Obon-Wochenende gelegentlich mal irgendwo nach. (Ach ja, da hab ichs ja schon.)

Ich werde heute jedenfalls im Wesentlichen faulenzen und zwischendurch ein bisschen meine Verben wiederholen. Gehe zu diesem Zwecke in den Aufenthaltsraum, wo eine Putzkolonne gerade damit beschäftigit ist, die Klimaanlagengitter zu schrubben und die Toiletten und Duschen reinigt. Ich spiele ein Weilchen Klavier, lerne ein bisschen, spiele wieder ein bisschenKlavier und schalte dann den Fernseher ein. Auf dem Go-Kanal hat gerade eine Partie zwischen einer Profi-Spielerin und einem Amateur angefangen, die ich mir mit Spannung bis zum Ende anschaue.

Ich zappe die ca. 50 Kanäle durch und bleibe bei einer unglaublich lächerlichen Sendung hängen, die sich dann aber schnell als eine Art Sesamstraße erweist. Immer wieder werden Hiragana-Zeichen vorgestellt und darum herum allerlei lächerliches Zeug getrieben. Die Sendung ist wohl für Vierjährige gedacht, und auf etwa deren Niveau sind meine Kenntnisse der japanischen Schrift, sodass die Sendung für mich wohl gerade richtig ist.

Nach etwas Lernen und Tagebuchschreiben knurrt mir der Magen. Ich bin aber zu faul, heute etwas Neues zu erkunden, daher gehe ich wieder mal zu Denny's und esse ein leckeres Steak (natürlich klein geschnitten und mit Miso-Suppe, Tofu und allerlei anderem Zeugs serviert). Obwohl die Schule Ferien macht, scheint Obon kein Feiertag wie bei uns zu sein. Der 100-Yen-Shop neben Denny's hat nämlich ganz normal auf. Ich habe den Eindruck, dass jedes größere Geschäft hier jeden Tag geöffnet hat; nur kleinere, exklusive Läden wie der Go-Shop in Nagoya machen Sonntags und zu Obon zu. Das find ich sehr praktisch; wann, wenn nicht am Sonntag, sollte man in Ruhe einkaufen?

Abends übe ich die nächsten 10 Kanji und versuche mich im Hiragana- und Katakana-Schnellschreiben. Ein erfahrenerer Kommilitone hat mir nämlich empfohlen, das ganze Alphabet mehrmals täglich so schnell wie möglich hinzuschreiben. Das würde die Verknüpfung zwischen den Zeichen und den Silben im Kopf stärken und so die Lesefähigkeit verbessern, ganz abgesehen davon, dass man natürlich auch das Schreiben übt. Ich kann tatsächlich noch alle Katakana, juhuu. Ihr erinnert Euch: Die hatte ich am ersten Wochenende gelernt. Allerdings dauert es weit über eine Minute, sie alle hinzuschreiben; der, der mir das empfohlen hat, meinte, man sollte die 46 Zeichen in unter einer Minute schreiben können. Da muss ich wohl noch viel üben.

Auf dem Weg zur Toilette läuft mir Dawn über den Weg, eines der Mädels, denen ich Go beigebracht habe. Ich schlage vor, ein bisschen Go zu spielen; wozu hab ich schließlich das Brett mit nach Hause geschleppt und die Steine sozusagen mit meinem Leben verteidigt? Wir spielen ein paar Partien auf dem 9 × 9-Brett, und gegen 22:30 schreibe ich noch schnell diese paar Zeilen, um dann noch ein bisschen Hikaru no Go zu schauen. Die Schulter tut immer noch mächtig weh, ob ich wohl heute gut schlafen werde?

 

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©2004 by Harald Bögeholz