Der Wecker klingelt um 6:30 - ich Idiot, den hätt ich ja nun
wirklich ausmachen können. Macht aber nichts, ich schlafe sofort
weiter wie ein Stein und stehe gegen 11:30 auf. Au Backe, war das viel
Bier gestern. Mittlerweile gehts mir wieder gut; um 6:30 wäre mit
mir aber noch überhaupt nichts anzufangen gewesen. Ich erinnere
mich dunkel, dass ich mich mit einer Japanerin zum Mittagessen
verabredet habe. Lustige Idee das, was die sich wohl dabei denken mag?
Zum Glück bin ich rechtzeitig aufgewacht, um auch noch die Fotos
von gestern Abend zu entwickeln und mir sicherheitshalber noch einmal
anzuschauen, wie die gute Frau aussieht Es regnet die ganze Zeit in Strömen, ist aber trotzdem warm; bin ich froh, dass mein Zimmer eine Klimaanlage hat. Ich merke aber, dass ich mich allmählich akklimatisiere; während ich meine Wunschtemperatur in den ersten Tagen auf 23 Grad eingestellt habe, bin ich jetzt bei 26 Grad gelandet. Die gefühlte Temperatur ist immer noch deutlich niedriger als draußen; vermutlich, weil die Klimaanlage auch einiges von der Luftfeuchtigkeit wegnimmt. Als ich das Wohnheim verlasse, regnet es zum Glück gerade nur
wenig; erst kurz vor dem Restaurant kommt noch einmal ein heftiger
Guss runter. Ich muss mir wohl gelegentlich einen Regenschirm zulegen.
Zum Essen steht mir der Sinn nach Fleisch, und ich bestelle mir
Rindersteak mit Salat und Reis Ich erzähle Ooyama san unter anderem, dass ich dieses Tagebuch schreibe und lerne bei der Gelegenheit das japanische Wort für Tagebuch: nikki. Wie ich gestern schon schrieb, lernt sie Deutsch, weil sie demnächst Freunde in Deutschland besuchen will. Wir unterhalten uns daher im Prinzip auf Englisch, aber ich versuche immer mal wieder so gut ich kann etwas auf Japanisch zu sagen und lasse mir gegebenenfalls helfen beziehungsweise mich verbessern, und sie macht das gleiche mit Deutsch und lernt bei der Gelegenheit das deutsche Wort für Tagebuch. Das ist ja eine praktisch wörtliche Übersetzung, meint sie, und schreibt mir die beiden Kanji für Tagebuch auf: ni ist das Kanji für Tag und ki ist das für Geschriebenes. Ich lerne bei der Gelegenheit mein erstes Kanji zu schreiben, und gleich ein schwieriges mit 10 Strichen! (Ok, es ist nicht das erste: Wie man das Zeichen für Tag schreibt, wusste ich schon.) Da ich ihr unter anderem erzählt habe, dass ich das japanische Frühstück mit Misosuppe und Reis mag, fragt sie mich, ob ich ein Stündchen Zeit und Lust habe, eine Miso-Fabrik zu besichtigen. Na klar, warum nicht? Der ursprüngliche Plan war zwar, Klavier zu spielen, Tagebuch zu schreiben und zu lernen, aber egal, ich bin ja schließlich mit einer Japanerin unterwegs und lerne dabei auch eine Menge. Sie sagt, die Leute von der Miso-Fabrik sind irgendwie Kunden von ihr (was sie genau macht, habe ich gestern entweder nicht gefragt oder wieder vergessen, auf jeden Fall ist sie wohl Unternehmerin und Chefin eines Ladens namens Luna Planning) und ruft dort an. Dabei beobachte ich zwei Dinge mit eigenen Augen, von denen ich schon gelesen habe. Erstens hat sie wie alle Japanerinnen irgendwelches Gebamsel an ihrem Handy - Handy-Schmuck ist anscheinend ein Muss in Japan. Zweitens telefoniert sie hinter vorgehaltener Hand und wendet sich dabei von mir ab. Die japanische Höflichkeit treibt schon seltsame Blüten. Irgendwie gehört es sich anscheinend nicht, in einem Restaurant zu telefonieren. Aber wenn man es hinter vorgehaltener Hand tut, sieht es ja keiner und dann ist es wohl ok. Dass das Ganze viel lächerlicher und auffälliger aussieht, als wenn man einfach nur telefonieren und dabei halt nicht so schreien würde, steht auf einem anderen Blatt. Ich widerstehe tapfer der Versuchung, von ihrer Haltung nebst dem Handy-Gebamsel ein Foto zu machen, denn ich glaube, das gehört sich jetzt irgendwie nicht. Wir kurven mit ihrem Auto etwa 20 Minuten lang wie mir scheint
kreuz und quer durch Okazaki Unsere Führerin erklärt mir alles zunächst auf Japanisch, kann aber sehr gut Englisch, sodass ich in Zweifelsfällen auch nachfragen kann. Miso besteht, soweit ich das verstanden habe, aus gepressten Sojabohnen, die zunächst mit irgendwelchen Mikroorganismen versetzt und zu kleinen Bällchen geformt werden und dann zwei Tage lang irgendwie fermentieren. Dann werden sie mit Salz und Wasser versetzt (siehe unten rechts auf dem Bild) und sodann in ein Riesenfass gepackt. Auf 6 Tonnen kommt ein Deckel und darauf eine Pyramide aus Steinen, die insgesamt drei Tonnen schwer ist und das ganze mächtig unter Druck setzt. (Ich frage extra noch einmal nach, und sie wiederholt, dass es 6 Tonnen Miso sind. So richtig kann ich es aber nicht glauben, wieviel wiegt nochmal ein Kubikmeter Wasser?) Die Steine werden auch heute noch von Hand auf den Deckel gelegt,
und in einem großen Lagerhaus stehen dann diese
Riesenfässer zwei Jahre lang herum, bis das Miso fertig
ist Als nächstes bekomme ich drei verschiedene Sorten Misosuppe
zum Probieren Im nächsten Raum steht ein kleiner Eis-Stand. Miso-Eis???!?
Ooyama san will mir eins ausgeben, da kann ich ja nicht nein sagen. Es
schmeckt deutlich weniger seltsam, als ich befürchtet hatte. Im
Wesentlichen süßlich, wie Vanille-Softeis halt, aber statt
Vanille liegt ein schwierig zu beschreibender Geschmack
drunter Nachdem ich den Souvenierladen ausführlich begutachtet habe, überreicht mir unsere Führerin ein Geschenk: Zwei Packungen Miso. Und zwar von der Sorte, die mir am besten geschmeckt hat. Das ist ja sehr nett. Wieder im Auto, ruft Ooyama san wieder jemanden an. Ich kann genug Japanisch um aufzuschnappen, dass sie sich erkundigt, ob wir eine Sake-Probe machen können. Sie kümmert sich wirklich nett um mich, das muss man schon sagen. Im Auto üben wir übrigens die ganze Zeit Japanisch und Deutsch. Sie fragt immer auf Englisch, wie man dies und das auf Deutsch sagt, und ich sage es ihr auf Deutsch und korrigiere sie, und anschließend sage ich es auf Japanisch und lasse mir von ihr helfen. Ich habe einen Heidenspaß! In dem Sake-Laden Zurück in dem ersten Raum bietet man mir an, noch weitere
Sorten Sake zu probieren, aber da mir schon leicht schwummerig zu
werden beginnt, lehne ich dankend ab (kekkoo desu). Das wird
aber augenscheinlich so verstanden als hätte ich meine
Lieblingssorte schon gefunden (in der Tat habe ich vorhin gesagt, dass
mir von den vieren der dritte am besten geschmeckt hat), und zu
irgendwelchen Knabber-Gemüse-Pickles und kaltem grünem Tee
wird mir eifrig weiter Sake von meiner Lieblingssorte nachgeschenkt
*hicks* Nachdem ich erwähnt habe, dass ich gelegentlich noch ein
Mitbringsel für einen Zwölfjährigen brauche, der
während meiner großen Reise auf meinen Nymphensittich
aufpasst, schleppt Ooyama san mich noch in einen 100-Yen-Shop, den ich
zwar bei meiner Erstbesichtigung schon einmal fotografiert, aber noch
nicht betreten habe Ooyama san schleppt mich zielsicher zu einem Regal mit Spielzeug.
Aber ob Willem sich über original japanische Holzkreisel freuen
würde? Ich fürchte, dafür ist er nun doch schon ein
bisschen zu alt. Ich frage Ooyama san, ob es in Japan eigentlich
Ansichtskarten gibt, auf denen wenigstens ansatzweise der Ort drauf
ist, an dem man sich befindet, aber alles, was sie für mich
auftreiben kann, ist ein kleiner Postkartenständer mit Fotos von
Tieren, Blumen und ... Brad Pitt Ich verabschiede mich gegen 18 Uhr von Ooyama san, die mir noch für die Dauer meines Japan-Aufenthalts einen Regenschirm leiht, weil ich vorhin, um mein Japanisch zu üben, angemerkt habe, dass ich hier in Japan noch keinen besitze. Wirklich sehr aufmerksam. Ich verspreche, ihr eine E-Mail zu schreiben und sie wiederzusehen. Und denke mir, dass man hier sehr vorsichtig sein muss, was man sagt. Wenn man sagt, dass man keinen Regenschirm hat, kriegt man gleich einen ... Ich lasse den Abend in der heute so gut wie menschenleeren Zig-Zag-Bar ausklingen, wo ich diese Zeilen schreibe und den festen Vorsatz habe, mindestens ein Bier weniger als gestern zu trinken. |
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